Wise Guys
in Essen, Grugahalle


Alle äußeren Umstände erinnern an die Spezialnacht: es ist richtig schön kalt und über Nacht hat sich das Land in einen vorweihnachtlichen Traum aus Schnee und Eis verwandelt. Wie durch ein Wunder sind die Winterdienste aber gut drauf und die Straßen frei, so dass Solli und ich ohne nennenswerte Probleme von Hamburg nach Duisburg durchkommen. Dort laden wir das Auto mit weiteren Fans voll – es muss sich ja lohnen – und fahren zur Grugahalle nach Essen. Der Parkplatz ist noch ziemlich leer und 3 Euro Parkgebühr scheinen durchaus angemessen. Nach kurzer Telefonkonferenz findet mein Gepäck in Julias Auto ein neues zu Hause, denn ich werde nach dem Konzert nicht wieder nach Hamburg fahren sondern in Essen bleiben, um Montag noch einen Auftritt der Rockhouse Brothers in Köln besuchen zu können.

Unsere Plätze sind wider Erwarten ziemlich gut, die Tribünen steigen steil an und trotz großem Abstand zur Bühne haben wir tolle Sicht. Hinter dem Mittelparkett sind die Mischpulte aufgebaut und direkt davor bleiben einige Plätze frei. Ob das interpretationsbedürftig ist? Mir bleibt keine Zeit, mir darüber weitere Gedanken zu machen, denn plötzlich entdecke ich auf der Treppe neben uns einige bekannte Gesichter. Eigentlich ist das verrückt, wir kennen uns alle aus meinem alten Chor aus Hamm und treffen uns nach dreieinhalb Jahren in Essen beim Wise Guys Konzert. Musikgeschmack verbindet! Aber auf den Treppen tummeln sich noch mehr Gestalten, die man hier sicher nicht erwartet hätte: Mit Bauchläden voller Kartons bahnen sich Eisverkäufer ihren Weg durchs Publikum, um Cornetto und Magnum an den Mann zu bringen. Bin ich in einem Konzertsaal oder im Kino? Ein deutliches Argument für die Kinotheorie: es gibt tatsächlich Zuschauer, die mit einer Tüte Popcorn ihre Plätze einnehmen. Unglaublich! Fehlt nur noch der ewig lange Werbeblock… Während der Handyausschalteinspieler läuft, trägt der Hausmeister das „Parkett Ost“ Schild weg und Mike Steinbrecher beißt genießerisch in sein Magnum. Hey, die Techniker sind da, lange kann es also nicht mehr dauern. Wieder läuft der Hausmeister durchs Bild, um auch den Hinweis auf das „Parkett West“ zu entfernen und dann wird es endlich dunkel im Saal.

Wise Guys

Im „Opener“ klingt Ferenc noch ein bisschen unvoluminös, beim „Opener B“ ist der Klang super. Die Textzeile: „…euch dabei zu helfen, für zwei Stunden abzuschalten“ ist heute wie für mich gemacht. Lange Anfahrten sind ja doch ein bisschen stressig, eigentlich hätte ich noch ein paar Minuten mehr gebraucht, um wirklich anzukommen. Werde ich alt? Kann man zu alt sein für ein Wise Guys Konzert? Dän erzählt, dass der 1. FC Köln die erste Halbzeit gegen Bielefeld gewonnen habe. Die Grugahalle sehe von der Bühne aus, wie eine Landebahn. Man befindet sich beständig im Landeanflug, kommt aber nicht unten an. Als ob das noch nicht genug war, wird er noch besinnlicher und erzählt von der Adventszeit, die ja ursprünglich mal eine Fastenzeit, also eine Zeit des Verzichts war. Daran halten die Wise Guys sich und verzichten heute bewusst auf Instrumente. Den Zuschauern, die heute ihr Lieblingslied vermissen, wird das nächste Lied gewidmet: „Du kannst nicht alles haben“. Von der ersten Strophe bekommen wir nicht besonders viel mit, denn der Hausmeister stellt noch 12 weitere Stühle sozusagen als allerletzte Reihe ins Parkett Ost und wird dabei fassungslos beobachtet. Dass Eddi den Clemens als „Würstchen auf dem Grill“ in den Arm nimmt, entgeht uns dann aber doch nicht.

In der folgenden Moderation von Dän, in der auch die Zuschauerbefragung durchgeführt wird, stellt der Hausmeister auch hinter das Parkett West noch eine allerletzte Stuhlreihe. Erst neun Stühle, wenig später tapert er mit den fehlenden drei Stühlen durch die Halle. Die Frage, wer die Wise Guys durch die Medien und wer durch Mundpropaganda kennen gelernt hat, bringt wieder das gewohnte Ergebnis: Die meisten Fans sind durch andere Fans angesteckt worden. „Die zwischenmenschliche Überzeugungskraft funktioniert besser, als der kümmerliche Einsatz der Medien.“ Nachdem das Saallicht wieder ausgeschaltet ist, moderiert Dän weiter. Erkältungen sind eine ziemlich miese Geschichte, weil sie immer mal wieder für Konzertausfälle sorgen. Zuletzt war Sari betroffen. Aber die Wise Guys haben dazu jetzt die professionelle Grundeinstellung, dass sie einfach nicht mehr krank werden. „Wie das funktioniert, erklären wir dem Sari und Ihnen im folgenden Lied.“ Die Lachanfälle während „Aber sonst gesund“ zeigen deutlich, wie viele Neuhörer im Publikum sitzen. Leider passiert es sehr häufig, dass die Wörter „werfe“ und „ich“ nicht voneinander abgesetzt werden und so ständig „werfehich mir kunterbunt…“ aus den Boxen kommt. Aber es ist ja tröstlich, dass das auch Profis passiert und nicht nur Laien.

Das Stadtquiz geht los. Eddi muss die Frage nach der Einwohnerzahl beantworten und verschätzt sich um 110.000 Leute. Sari soll sagen, seit wann Essen Universitätsstadt ist, und liegt nur 5 Jahre daneben. Clemens bekommt eine Fangfrage: Von drei Fußballern soll er sagen, welcher nicht in Essen geboren wurde. Leider sind die drei alle gebürtige Essener und Clemens hat keine Chance auf die große Tüte Frischfleisch, die es heute zu gewinnen gibt. Ferenc soll erraten, was man in der Kokerei Zollerbe ab dem 27.12.2005 wieder tun kann. Seine Antwort „Wein trinken“ ist zwar sicherlich nicht falsch, aber eigentlich wollte Dän „Eis laufen“ hören. Somit ist Sari der Tagessieger.

Wise Guys

„Denglisch“ beginnt extrem basslastig, ist aber in der zweiten Strophe deutlich besser gemischt. Dass die Wise Guys offensichtlich schon für die Totalnacht üben, wird beim nächsten Lied deutlich: „Wie kann es sein“ vom Album „Alles im grünen Bereich“. Das Publikum lauscht gebannt der neuen Interpretation des alten Stückes und ich erinnere mich daran, dass Dän in einem Interview auf die Frage nach seiner besten Komposition sagte, dass er dieses Stück noch immer sehr gerne mag. Zu Recht, es ist wunderschön. Noch schöner, als damals.

Es folgt das Lied über die Zeit in der Beziehung, wo die Leidenschaft noch glüht, also über die ersten vier bis fünf Tage: „Das war gut“. Um zu seiner Partnerin sagen zu können „Das war gut, mach das noch mal“, muss man erst mal eine Beziehung haben. Dass das nicht unbedingt einfach ist, demonstriert Clemens in „Romanze“. Es geht ohne Moderation weiter mit „Achtung! Ich will tanzen“. Es tanzen aber nicht nur die fünf Wise Guys auf der Bühne, sondern auch ihre riesengroßen Schatten auf den Vorhängen im grünen und gelben Licht. Clemens muss hinterher mit der Moderation etwas mehr ausholen, damit Dän wieder zu Atmen kommt. Also erzählt er, dass das Lied die Gemüter spaltet. Die einen finden es unbeschreiblich… und die andern auch.

Wise Guys

Als nächstes erteilt uns Sari die Lektion zum Thema "Wie gehe ich mit einer echten „Powerfrau“ um". Danach berichtet Dän, dass es im ganzen Jahr an fast jedem Veranstaltungsort entweder Gulasch oder Chili zu essen gab. Heute in Essen gibt es beides! Ob man ein Lied darüber schreiben soll? Falls ich jemals meine musikalischen Gäste mit warmem Essen bewirten muss, wird es weder Chili noch Gulasch geben. Wer kommt überhaupt auf die Idee, ausgerechnet ein Bohnengericht zu servieren? Die Luft auf der Bühne ist doch auch ohne Chiliduftmarken unerträglich genug.

Eddi hat ein Lied über seine Lieblingsvorabendserie komponiert: „Buddy Biber“. Auch hier unterstützt ein unerwartet auftauchender Schatten die Textwirkung. Er erscheint rechts hinten in der Ecke exakt als Eddi singt: „Leider gibt es einen dicken Bösewicht“. Oder sind diese Schattenspiele Absicht? Es geht sofort mit „Wo der Pfeffer wächst“ weiter und die erste Hälfte neigt sich dem Ende zu. Clemens sagt: „Meine Damen und Herren, wir kommen jetzt zum letzten Lied vor der Pause“, und weiter kommt er nicht, denn er wird von einem laut gerufenen „JA!“ unterbrochen. Ob dieser Zuschauer nach der Pause wieder reinkommt? Dän übernimmt den Rest der Moderation, damit Clemens abtreten und sich in den Pantoffelhelden verwandeln kann. Plötzlich verlässt auch Sari die Bühne und das Fragezeichen schwebt über unseren Köpfen. Des Rätsels Lösung: als Dän Werbung für Schals und Handschuhe macht, tritt Sari plötzlich als Wintermodemodel auf und nutzt die Bühne als Catwalk. Niemand von uns hört Dän noch zu, dass die Handschuhe toll und warm sind wissen wir eh, also können wir uns ohne schlechtes Gewissen vor lachen abrollen. Clemens singt „Nur für dich“ so richtig schön verschüchtert und unter tosendem Jubel gehen die fünf zur Pause ab.

Wise Guys

Die zweite Konzerthälfte beginnt mit „Mad World“. Die Stimmung im Saal ist relativ ruhig aber es kommen natürlich noch ein paar Nachzügler rein und das Lied wird von einem Hustenkonzert untermalt. Eine Dame hinter uns bemüht sich, möglichst leise zu husten und ich bin ihr dafür sehr dankbar. Meine Nachbarin sagt hinterher zu mir: „Das war irgendwie viel zu schnell“ worauf ich antworte: „Das war schon mal schlimmer“. Zu schnell fand ich Mad World heute nicht, aber es würde mich auch nicht stören, wenn es noch langsamer wäre. Wieder hoffe ich, dass es mit „Live and let die“ weitergeht, aber es folgt leider der „Ohrwurm“. Es wird wirklich Zeit, dass das nervige Vieh aus dem Programm fliegt. Nicht, dass er musikalisch schlecht wäre, aber wie fast immer fühlt sich nach dem letzten Ton eine Clique genötigt, das Lied weiterzugrölen.

Dän erzählt vom anstrengenden Leben als Musiker. Sie kommen zur Halle, der Soundcheck kann je nach Tagesform des technischen Personals mehrere Stunden dauern und die Show ist die einzige Zeit des Tages, in der sie sich wirklich zu Hause fühlen. Teilweise sind sie acht Tage am Stück nicht zu Hause (das Publikum quittiert das mit einem langen Oooooooh) und dann müssen sie abends in die kalte Anonymität ihres Hotels zurück (Oooooooh) und fühlen sich auf dem mehrere Hektar großen Wasserbett von der Einsamkeit im Nacken gepackt. Da hilft nur der Griff zur Fernbedienung und es beginnt der wohl schlimmste Teil ihres Lebens: das nächtliche deutsche Fernsehprogramm, das exemplarisch durch „Neun Live“ beschrieben wird. Während die Wise Guys den Refrain singen, erinnere ich mich daran, wie sie beim Soundcheck für das Tanzbrunnennachholkonzert noch die Choreografie üben mussten. Damals hat Eddi nur den Text gesprochen, während sie alle hochkonzentriert und angespannt über die Bühne tanzten. Heute wird der locker getanzte Refrain zusätzlich durch eine Lichtorgel der bunten Spots im Hintergrund untermalt, während am hinteren Vorhang immer abwechselnd zwei violette Spots diagonal noch oben leuchten. Gelb, rot, grün, blau, orange, blau, grün, rot…

Der Mundschlagzeugkurs ist neuerdings extrem verkürzt. Statt alles lang und breit zu erklären, sagt Dän nur: „Die Bassdrum geht so: dm! Die Hi Hat so: ts und die Snare so: pf! Und dann kann man das beliebig kombinieren.“ Innerhalb von Sekunden beginnt der donnernde Beat zu „Einer von den Wise Guys“. Danach geht es ohne Ansage mit „Zu spät“ weiter, bevor Clemens „Weltmeister“ anmoderiert. Das Publikum klatscht dabei voller Überzeugung auf eins und drei. Eddis Visionenmoderation ist wieder ein bisschen anders als die vorherige. Diesmal weht ein leichter Wind durch das blau leuchtende Hotelzimmer und der Fußboden tritt um mehrere tausend Meter zurück. Natürlich muss ein später auftauchendes Lied noch mal vorbereitet werden: „Solojodeln ist nicht, sagte man mir“. Und es bleibt dabei, dass plötzlich einer der anderen vier während einer Probe erschossen werden könnte. Wie gut, dass die vier sich alles offen sagen können. Ob das nächste Lied ein Zitat aus einer Bürobesprechung ist? Du bist „Das Allerletzte“. Während „Sing mal wieder“ wird das Publikum immer dann mit Spots angestrahlt, wenn es singen soll. Das sieht von hinten total toll aus und der Mitsingteil macht wieder richtig viel Spaß.

Wise Guys

Dän verschafft uns das undeutsche Gefühl der Leichtigkeit und lässt uns alle auf zwei und vier schnipsen. Trotzdem geht der pädagogische Auftrag des Abends wie immer in die Hose, denn Ferenc zelebriert die sinnlose Heizerei mit dem Auto als „King of the road“. Der Song klingt total klasse, nur ganz am Ende direkt vor Ferenc’ letztem Ton ist Dän für meinen Geschmack viel zu leise. Aber das macht niemandem etwas aus, die Halle tobt trotzdem. Danach folgt schon die Abschlussmoderation mit Danksagungen an alle, die an dem Abend arbeiten mussten und dem Hinweis auf das nächste Konzert in Essen. So bleibt für „Feierabend“ nichts mehr, was Dän sagen müsste und er bringt an der Stelle ein wundervolles Pfeifsolo. Wäre man jetzt in einem kleinen Jazzclub (zum Beispiel in Hamburg), würden die Leute dieses Solo mit Zwischenapplaus belohnen. Das tun hier in der riesigen Grugahalle leider nur sehr wenige, schade. Schon ist das Konzert zu Ende und die ersten Zuschauer haben es eilig, die Halle zu verlassen. Dabei kommen doch noch die Zugaben, aber das scheinen nicht alle zu wissen.

Es geht los mit „Jede Stimme zählt“. Als nur noch Dän und Eddi auf der Bühne stehen und sich bei „Pro-blem“ etwas hilflos angucken, hat plötzlich auch meine Kamera ein Problem und verkündet mit lautem Piepsen, dass die Akkus leer sind. Na toll, um das Objektiv reinzufahren reicht der Akku nicht mehr, aber Alarm schlagen geht noch… Komische Taktik. Bei „Ruf doch mal an“ stehen die meisten Zuschauer auf und tanzen, nur ganz wenige Menschen bleiben vereinzelt mit dem Po am Stuhl kleben. „Jetzt ist Sommer“ wird als vorletzte Zugabe gesungen und zum Ende kommt die unvermeidliche „Ohrwurm-Reprise“. Weihnachten in Düsseldorf sehen wir uns wieder!

 

Opener
Opener B
Du kannst nicht alles haben
Aber sonst gesund
Denglisch
Wie kann es sein
Das war gut
Romanze
Achtung! Ich will tanzen
Powerfrau
Buddy Biber
Wo der Pfeffer wächst
Nur für dich

Mad World
Ohrwurm
Neun Live
Einer von den Wise Guys
Zu spät
Weltmeister
Das Allerletzte
Sing mal wieder
King of the Road
Feierabend

Jede Stimme zählt
Ruf doch mal an
Jetzt ist Sommer
Ohrwurm (Reprise)



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